- islamisches Kunsthandwerk: Kalligraphie und Ornament
- islamisches Kunsthandwerk: Kalligraphie und OrnamentDen gesamten Mittelmeerraum prägte bis ins 13. Jahrhundert eine gemeinsame Kunstsprache der Formen und Motive, die sowohl in den islamischen als auch in den christlichen Reichen verstanden wurde. Die frühislamische Kunst unter den Omaijaden, der ersten Dynastie der Kalifen, entwickelte sich auf der Grundlage hellenistischer, byzantinischer und sassanidischer Traditionen. Vereinheitlichend wirkten dabei der Fernhandel, der aufblühende Städte miteinander verband, und der Islam als geistige Basis; von der Hauptstadt Damaskus aus gingen Impulse bis nach Spanien im Westen und nach Transoxanien im Osten. Unter ihren Nachfolgern, den ab 750 in Bagdad regierenden Abbasiden, bekamen iranische und mittelasiatische Einflüsse größeres Gewicht: Die Ornamente und Motive wurden stärker abstrahiert, feste Schemata ihrer Anordnung setzten sich durch. Mit der Auflösung des Kalifenreichs traten lokale Stilformen neben die durch Handel, geistigen und künstlerischen Austausch beförderten Gemeinsamkeiten. Die Reichsbildung der Seldschuken im 11. Jahrhundert führte jedoch zu einer erneuten Vereinheitlichung der Formensprache, die nun auch mit ostasiatischen Motiven in Berührung kam.Während Plastik und Relief unter den Omaijaden noch eng an vorislamische Traditionen anknüpften, setzten sich unter den Abbasiden die der islamischen Kunst eigenen Kompositionsprinzipien endgültig durch, so die vollständige Bedeckung mit Dekor und die Aufteilung von Flächen in Borte und Feld. Mit den Seldschuken bekam das Motiv der menschlichen Figuren eine große Bedeutung, besonders bei Themen, die in Verbindung mit der Verehrung des Herrschers standen. Auch in der Keramik waren anfangs vorislamische Wurzeln noch deutlich erkennbar. Die vereinheitlichenden Tendenzen der Reichskunst brachten dann die flächendeckende Verzierung, den floralen und geometrisierenden Dekor in Form von Schriftbändern und Arabesken und schließlich die vielgestaltigen figürlichen Szenen der Seldschukenzeit zur Geltung. Die emaillierten Gläser jener Zeit folgten dieser Entwicklung ebenfalls, zum Beispiel mit vielfarbigen Szenen. Die enge Verbindung zwischen den verschiedenen Bereichen islamischen Kunsthandwerks zeigt sich auch an den Metallarbeiten: Zunächst wurden mit Bildern wie dem »fürstlichen Reiter« oder den Hofszenen die Traditionen sassanidischer Zeit fast bruchlos fortgeführt, bevor in der Seldschukenzeit neuartige Tiermotive aus Mittelasien und China hinzukamen. Der immer detailreichere und kompliziertere Dekor wurde nun durch die neue Verzierungstechnik des Tauschierens ergänzt: Das Einschlagen andersfarbiger Metalle in die Oberfläche von Kannen, Schalen oder großen Kesseln bot vielfältigere Möglichkeiten, aufwendige Bildfelder und Borten zu gliedern, als das Gießen, Treiben und Ritzen. Während die erhaltenen Reste größerer Holzarbeiten die vereinheitlichenden Entwicklungen der jeweiligen Reichskunst widerspiegeln, verweisen kleine Schnitzereien und Elfenbeinarbeiten noch lange auf das Beharrungsvermögen des frühislamischen Dekors. Die Textilien des 11., 12. und 13. Jahrhunderts aus Ägypten, Spanien und Sizilien zeigen den gleichen Drang zur Entfernung von den natürlichen Vorbildern der Ornamente oder zu fortlaufenden Borten und flächendeckenden Mustern wie andere Objekte der Kleinkunst. Die zahlreichen Tierdarstellungen wurden durch friesartige Wiederholung, geometrische Anordnung oder feinteilige Binnenzeichnung verfremdet.Weil das Wort Gottes durch das heilige Buch, den Koran, übermittelt wird, genießt der Kalligraph, der das gottgefällige Werk des Schreibens verrichtet, in der islamischen Welt besondere Achtung. Bereits in den ältesten erhaltenen Koranhandschriften wurden Teile des Textes durch Farben, Vergoldungen, Rosetten oder Punkte hervorgehoben. Diese Kunst der ornamentalen Verzierung durchzieht die gesamte Buchkunst bis heute und orientiert sich an den jeweiligen Stilentwicklungen. Miniaturmalerei ist seit der Seldschukenzeit nachweisbar. Anfangs waren die Darstellungen relativ klein und eng an den Text gebunden. Byzantinische, iranische und buddhistische Einflüsse sind deutlich zu erkennen. In Bagdad blühte Anfang des 13. Jahrhunderts eine eng an die städtische Sphäre anknüpfende Malweise, die sich von den strengen Formen des Bildaufbaus löste und andere Bildthemen als die des Hofes bevorzugte.Die Eroberungszüge der Mongolen bedeuteten im 13. Jahrhundert einen tiefen Einschnitt: Denn da sich auch für die nicht eroberten Gebiete in Vorderasien langfristig das politische und wirtschaftliche Umfeld veränderte, begannen sich trotz vieler Gemeinsamkeiten die Unterschiede zwischen westlicher und östlicher islamischer Kunst zu vertiefen. Während in den mameluckischen Gebieten Ägyptens und Syriens, in Nordafrika und Spanien die Verfeinerung dekorativer Elemente, die kompliziertere geometrische Aufgliederung von Flächen und der weitgehende Verzicht auf figürliche Darstellungen alle Bereiche der Kunst erfassten, brachten in den östlichen Regionen die mongolischen und später türkischen Eroberungswellen neue Einflüsse aus China und Zentralasien. Auch der Fernhandel, gefördert durch die Großreiche der Ilchane und der Timuriden, sorgte für einen stetigen Zustrom neuer Kompositionstechniken und Motive (zum Beispiel Drache und Phönix). Neben den oft am besten erhaltenen Erzeugnissen von Hofwerkstätten und ihrem Umkreis erlangten städtische Manufakturen besonders in Zeiten schwindender Zentralgewalt eine enorme Bedeutung; hier entstanden auch Formen kommerzieller Kunst, das heißt direkt für die Bedürfnisse wohlhabender städtischer Schichten hergestellte Werke. Besonders der Tradition verhaftet blieb dagegen die Volkskunst, häufig gebunden an nomadische Gruppen.In die Keramik fanden jetzt zahlreiche chinesische Elemente wie bestimmte Blüten- und Blattformen oder Wolkenbänder Eingang. Solche östlichen Einflüsse wurden in der islamischen Kunst bis nach Spanien spürbar. Eine Sonderentwicklung der Mamelucken stellten die noch in der Aijubidenzeit beginnenden Wappendarstellungen dar, die man auch auf den emaillierten Gläsern und auf Metall findet. Im Umkreis der mameluckischen Sultane entstanden hervorragende Werke der Tauschierkunst. Obwohl in fürstlichen Szenen vor allem Pfingstrosen- und Lotosblüten auch ostasiatische Einflüsse verraten, bekamen kalligraphische und nichtfigürliche Dekorformen immer mehr Gewicht. Im Iran wurde unter den Ilchanen das seldschukische Erbe zunächst weiterentwickelt, gleichzeitig aber ostasiatische Blütenformen und Besonderheiten figürlicher Darstellung aufgenommen. Unter den Timuriden setzte sich dann nichtfigürlicher Dekor in Form von Rosetten, Kartuschen und Medaillonformen wieder stärker durch, die Verzierung durch Gravur und Treiben verdrängte zunehmend die Tauschiertechnik. Die Miniaturmalerei entwickelte sich in verschiedenen regionalen Stilen und in Abhängigkeit von den Auftraggebern. Mit der Zeit gewann das Bild eine größere Eigenständigkeit gegenüber dem Text, sodass schließlich auch viele Einzelbilder entstanden.Die islamische Kunst der frühen Neuzeit wurde entscheidend von den Höfen der Osmanen und der Safawiden geprägt, wobei die gegenseitigen Beziehungen für zahlreiche Gemeinsamkeiten bis in Details der Motiventwicklung sorgten. Doch auch der zunehmende Einfluss Europas spiegelte sich nun in der Kunst wider. Die Anleihen aus Barock, Rokoko oder dem Klassizismus wurden allerdings den traditionellen Kompositionsprinzipien unterworfen: Durch Vervielfältigung, Reihung, Friesbildung, Spiegelung, Anordnung als Borte und Feld sowie ihre Verknüpfung mit traditionellen Mustern fügten sich die fremden Blüten, Muschelformen oder Säulenmotive in die hergebrachten Schemata ein. Die so entstandenen Stile - etwa das Türkische Rokoko - zeugen von der schöpferischen Kraft der islamischen Kunst jener Zeit, fremde Einflüsse souverän zu verarbeiten.Der Fernhandel bewirkte auch in der Keramik der Safawidenzeit deutliche chinesische Einflüsse. Neu erschienen birnenförmige, langhalsige Flaschen aus feingliedrig verzierter Keramik oder einfarbigem Glas; ihre elegante Form ist wohl im Zusammenhang mit der grazilen, schwingenden Linienführung in der Malerei zu sehen. Entsprechend dem Farbenreichtum der Keramik nahm in der Metallkunst bei Edelmetallen die Verwendung verschiedenfarbiger Edelsteine zu. Bei Werken aus Bronze und Messing wurde die Tauschiertechnik durch Gravur und Schwärzung weiter zurückgedrängt. Den hochwertigen Erzeugnissen der Hofwerkstätten standen zunehmend in städtischen Manufakturen gefertigte, in Technik und Dekor sparsamere Stücke gegenüber. Die großen Teppiche der Safawiden- und Osmanenzeit variieren das Thema der großen Mittelmedaillons besonders reich. Abgebildet wurden ganze Gartenlandschaften und Jagdszenen, wobei Viertelmedaillons in den Ecken des Feldes häufig erkennen lassen, dass man einen Ausschnitt aus unendlicher Reihung wiederzugeben suchte. Osmanische Teppiche aus städtischen Manufakturen zeigen dagegen oft traditionellere Muster wie strenges Rautenwerk und geometrisierende Formen.Mit der Orientierung herrschender Kreise an Europa und dem Zerfall der großen islamisch geprägten Reiche war auch der Untergang der an den Höfen produzierten Kunst besiegelt. Im ausgehenden 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert bewahrten die Nomaden Mittelasiens und die traditionellen Bereiche um den Basar wichtige Teile der Formen und des Motivschatzes islamischer Kunst.Dr. Thomas TunschDie Kunst des Islam, bearbeitet von Janine Sourdel-Thomine und Bertold Spuler. Sonderausgabe Berlin 1990.
Universal-Lexikon. 2012.